Der imposante Gebäudekomplex der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie am Harburger Binnenhafen ist einer der bedeutendsten Zeitzeugen der Industrialisierung Hamburgs. Leider verfällt er seit dem Standortwechsel des Unternehmens im Jahre 2009 zunehmend.
„Die Koppel“ nannte man das Gelände nahe des Harburger Binnenhafens zum Ende des 19. Jahrhunderts als sich hier die New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie als erste deutsche Hartkautschukfabrik niederließ, um Kämme herzustellen. 1852 entdeckten einige Industriepioniere mit einem Hartgummi-Patent und einer Lizenz zur Kammherstellung diesen nahezu idealen Standort. Harburg, damals noch Teil des Königreichs Hannover, hatte nur wenige Jahre zuvor die Eisenbahnverbindung nach Hannover eröffnet. Deren Kopfbahnhof endete direkt im Harburger Binnenhafen, der gerade als Verkehrshafen ausgebaut und an den Seehafen angeschlossen worden war. Dies ermöglichte den direkten Güterumschlag von Bahn und Schiff, und Harburg avancierte innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Hafen- und Industriestandort für Hannover.
Die Anlage der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie wurde schon 1866 bei einem Brand das erste Mal zerstört, danach aber wieder aufgebaut und über die Jahrzehnte immer weiter um neue Bauten ergänzt. Die letzten größeren baulichen Veränderungen fanden im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Das Ensemble ist somit heute eine Art Werkschau der historischen Entwicklung der Industrie- und Backsteinarchitektur.
Entlang der Neuländer Straße läuft ein fast 200 m langer Riegel aus 3-geschossigen Backsteinbauten mit pfeilerartig verstärkten Gebäudeecken, der schon durch seine schlichte Masse imponiert. Betrachtet man die einzelnen Gebäudeteile genauer, kann man die unterschiedlichen Zeitschichten erkennen. Der mittlere Gebäudeteil besteht bis zum zweiten Obergeschoss noch aus den Überresten des Ursprungsbaus von 1866. Damit ist er eines der ältesten Beispiele dieser fortschrittlichen Konstruktion und stilistischen Haltung des Industriebaus im Hamburger Raum. Der moderne industrielle Geschossbau mit seinen massiv gemauerten Backsteinaußenwänden und einer gusseisenern Innenkonstruktion ist architektonisch geprägt durch die Einflüsse der Hannoverschen Bauschule mit ihrer neogotischen Backstein-Formensprache.
Im Zuge des Wiederaufbaus 1949-1956 wurde ein weiteres Geschoss ergänzt, das optisch von den älteren Teilen durch ein Betongesims getrennt wurde. Es erstreckt sich auch auf den weiteren Gebäudeteilen A und O, die erst 1907 und 1909 entstanden und die Fortentwicklung der Industriearchitektur veranschaulichen. Ihre massiven Außenwände sind ebenfalls aus robustem Backstein, und auch die Konstruktion des Innengerüstes aus Eisenbeton bleibt nahezu unverändert. Stilistisch zeigt sich allerdings eine deutliche Weiterentwicklung zur Reform-Architektur: Die einzelnen Fassadenelemente sind differenziert gestaltet mit hervorspringenden Stützen und zurückliegenden Flächen und Fenstern. Anstelle von Formsteinen verwendete man unterschiedlichen Verlegetechniken.
Im Bereich der Erdgeschosse der Bauteile A-B-O befinden sich auf der Hofseite weitläufige eingeschossige Hallen, die den Produktionsabläufen über die Jahrzehnte laufend angepasst wurden. Ein Großteil dieser Hallen stammt vermutlich aus der Nachkriegszeit. In zweiter Reihe befinden sich die geschichtlich bedeutsamen Gebäude R, die Kammfabrik von 1911, sowie das Kesselhaus und ein Schornstein, der heute noch als Stumpf im Gebäudeteil E erhalten ist. An das Kesselhaus schließt das Backsteingebäude N an, eine Backsteinhalle, in dem die Zinnblechpresserei untergebracht war. Auch hier folgt der Baustil der Hannoverschen Bauschule.
Als erste Hartgummifabrik des Deutschen Reiches ist dieses Ensemble nicht nur von hoher industriegeschichtlicher Bedeutung. Es ist aufgrund seiner Präsenz und Fernwirkung stadtbildprägend für das Industriegebiet des Harburger Binnenhafens und damit unverzichtbar für die Identität des gesamten Stadtteils. Der Denkmalverein mahnt den Verfall dieses bedeutsamen Denkmals an. An diesem Ort der Geschichte, Baugeschichte und Industriegeschichte könnte sich mittels einer Mischnutzung ein lebendiges neues Quartier entwickeln, das von einer beeindruckenden Vergangenheit zu berichten hätte.
Fotos: Kim Schröder, Fotografie Dorfmüller | Klier, Martin Kunze