2020

Am Holstenkamp 76/78, Ecke Schnackenburgallee verfiel über viele Jahren ein ehemals prachtvolles Doppel-Wohnhaus – nun wurde es für eine Gewerbebebauung abgerissen.

Das Gebäude gehörte der Stadt Hamburg und wurde von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA verwaltet, wurde jedoch offenkundig über die vergangenen Jahre in keiner Weise instandgehalten. Es ist ein Skandal, dass die Stadt ihre eigenen Altbauten verfallen lässt, um sie dann für den Abriss freizugeben.

Laut Auskunft des Denkmalschutzamtes wurde das Wohngebäude 1895 errichtet als typische Vorortbebauung des späten 19. Jahrhunderts. Um 1900 war die Gegend noch überwiegend ländlich bzw. durch Kleingewerbe geprägt, lediglich die Friedhöfe bestanden bereits. Dieses Haus bildete einen Teil der spärlichen, begleitenden Bebauung entlang des Holstenkamps, einer der zahlreichen Ausfall- bzw. Verbindungsstraßen in diesem Bereich. Erst mit dem Autobahnbau 1974 und dem Ausbau des nordwärts führenden Feldweges zur Schnackenburgallee besitzt das Gebäude Holstenkamp 76/78 seine heutige hohe Präsenz an der Kreuzung Holstenkamp/ Schnackenburgallee.

Das zweigeschossige Doppelhaus war 1895 für die Brüder Adolf und Carl Bethlow nach Plänen des Zimmermeisters Joh. Tönns errichtet worden. Die Brüder Bethlow, die am Ort eine Reepschlägerei besaßen (J. Bethlow Söhne), hatten kurz zuvor ihren Betrieb von Ottensen an diesen Standort verlagert. Auf dem weit nach Norden reichenden Grundstückstreifen erstreckten sich zunächst nur zwei Seilbahnen, d.h. zwei lange eingeschossige Schuppen zur Seilherstellung. Zusammen mit zwei weiteren Schuppen wurde schließlich unmittelbar zur Straße das Wohnhaus der Firmeninhaber errichtet. Dieses nahm im Erdgeschoss auch die Kontorräume des Betriebs auf. Die Doppelhaushälften dienten zunächst je einer Inhaberfamilie, erst später erfolgte der Umbau zum Mehrfamilienhaus mit Teilung der Haushälften in je eine Wohnung pro Etage.
Zum Grundstück gehören ein kleiner Gartenbereich an der Kreuzung und ein größerer hinter dem Gebäude zum nördlich angrenzenden Gewerbegrundstück.

Ein Video der MOPO zeigt, dass es im Inneren noch viele bauzeitliche Ausstattungsteile gab, wie etwa die Treppenläufe und Stuckdekor. Außerdem wies das Gebäude im Bereich der Straßenfassade noch einige besondere Details auf und verfügte auch noch über seine bauzeitliche Dachlandschaft. Leider hatte es aber durch Anbauten an der Westseite sowie durch Veränderungen im Innenraum an Authentizität eingebüßt. Da schon 1964 die Schuppen hinter dem Gebäude abgebrochen wurden, fehlte zur Unterschutzstellung ein Zusammenhang zur früheren gewerblichen Nutzung. Zudem war das Gebäude als Wohnbebauung an diesem Standort alleine geblieben und konnte daher nicht als frühes Beispiel für die Erschließung des Standorts als Wohnquartier herangezogen werden. Das Denkmalschutzamt hatte daher von einer Aufnahme in die Denkmalliste abgesehen.

Laut Angaben der Presse wohnte in einer der beiden Gebäudehälften bis zum Februar 2018 noch ein 79-jähriger Bewohner, danach stand der Bau vollständig leer. Äußerlich fand man neben einigen Schäden am Putz und wenigen eingeschlagenen Scheiben keine größeren Schäden vor. Im Inneren jedoch bestanden jedoch größere Schäden an Stuck, Wänden, der Holzverkleidung und dem Holzdach. Laut Bezirksamt Altona wurde eine Abrissgenehmigung erteilt, damit das hinter dem Gebäude liegende Gewerbegebiet erweitert werden kann. Der Denkmalverein kritisiert diesen Umgang der Stadt mit ihren eigenen Bestandsbauten scharf. Das Gebäude hätte aus baukulturellen und ökologischen Gründen instandgesetzt und wieder in Nutzung gebracht werden sollen. Da aufgrund der Lage des Gebäudes angeblich keine Wohnnutzung mehr möglich war, wäre stattdessen eine gewerbliche Nutzung denkbar und sinnvoll gewesen.

Fotos: Kristina Sassenscheidt, Martina Schrei